Klinische Psychologie in Frankfurt – oder wie macht man einen Fachbereich wieder „arisch“ – methodenkorrekt, selbstverständlich!
Die „taz“ hat es berichtet, die „Frankfurter Rundschau“, die „FAZ“ haben sich der Sache angenommen: Die verbliebene psychoanalytische Professur im Fachbereich Psychologie in Frankfurt soll nächstes Jahr neu besetzt werden – die Ausschreibung erfolgt „verfahrensoffen“. Frankfurt – Du machst mir bange!
Natürlich laufen die „üblichen Verdächtigen“ Sturm, verweisen darauf, dass die Psychoanalyse quasi zur DNA Frankfurter Geisteslebens gehört: Das „Institut für Sozialforschung“ wird regelhaft zitiert, selten fehlt der Verweis auf das segensreiche Wirken Alexander Mitscherlichs.
Mit Mitscherlich – besser der Kooperation mit dem von Margarethe und Alexander Mitscherlich gegründeten „Sigmund-Freud-Institut“ – versucht der derzeitige Prodekan des Psychologischen Institutes, Christian Fiebach, die Wogen zu beruhigen. Nichts läge ferner als die Unterstellung einer „Abschaffung der Psychoanalyse“ im akademischen Kanon. Vielmehr zwängen die Bedingungen des „Klinischen Masters“, dieser nun wieder eine Folge des „Psychotherapeutengesetzes“ dazu, den Fachbereich quasi „methodenplural“ auszurichten.
To be honest: Ich bin glücklich in einer Zeit in Frankfurt studiert zu haben, in denen besagte „Psychoanalytische DNA“ noch wirksam war: Psychoanalyse in Frankfurt war – in meiner Erfahrung – mehr als ein Verweis auf Adorno und Mitscherlich: Argelander, Peter Kutter, Alfred Lorenzer – und in meinem Fall besonders wichtig: Christa Rohde-Dachser – haben klinisch und sozialwissenschaftlich wichtige Impulse gesetzt.
Soweit also alles wie erwartbar: Ein neoliberal getriebener Hochschulbetrieb gegen eine „kritische Gegenöffentlichkeit“ – wobei in der Regel – aus Gründen der Finanzierung von „Exzellenz-Clustern“ – ersterer gewinnt.
Mich stört diese Verkürzung und dies möchte ich kurz erläutern:
Der „Campus Westend“ befindet sich heute – viele werden es wissen – auf dem Gelände der ehemaligen „IG Farben“. Die Universität schien sich zur „NS“-Geschichte der Bauten nicht verhalten zu wollen, es war der AStA – oder über die Jahre: die jeweiligen ASten – , die eine Form der „Erinnerungskultur“ erzwungen haben, etwa hinsichtlich des „Wollheim“-Memorials. Auch der Umgang der JWG-Universität mit der „Forschungsstelle NS-Pädagogik“ spricht hier Bände.
Nun, hierin hat die Universität eine unselige Tradition: Was selten erzählt wird ist, dass das Land Hessen für Mitscherlich eine Stiftungsprofessur am Fachbereich Medizin in Frankfurt finanzieren wollte – die der Fachbereich abgelehnt hat. Man wolle lieber in „Humangenetik“ investieren. Nachvollziehbar: Aus dem „Kaiser-Wilhelm-Institut“ war die „Max-Planck-Gesellschaft“ geworden, aus „Rassebiologie“ und „Eugenik“ eben „Humangenetik“. Man konnte alle die Präparate, die etwa Mengele als ehemaliger Frankfurter Doktorand aus Ausschwitz überlassen hatte, weiterverwenden…Da war für einen „Stänkerer“ wie Mitscherlich kein Bedarf. Über den Umweg nach Gießen kam A. Mitscherlich dann doch noch nach Frankfurt – und wenn sie nicht gestorben sind…
Aber: Hat der Fachbereich nicht recht, wenn es also um die rein „klinische Ausrichtung“ geht? Ein Narr, wer dabei Böses denke?
Insight Views
Let´s talk about „psychology“: und dies tue ich als „Klinischer Psychologe“ – sozusagen „alter Schule“: Man darf sich schon fragen, wann der „akademischen Psychologie“ der Gegenstand ihres Interesses aus dem Blick geriet. In Worten eines psychoanalytischen Kollegen zu Beginn meines Studiums in Frankfurt: “…Würden sich die Psychologen jemals mit dem Gegenstand ihrer Wissenschaft beschäftigen – sie würden glatt verrückt. Ergo sei die Beschäftigung mit Statistik, die Fixierung auf Taschenrechner als im Dienste der Abwehr geschehend zu betrachten…“.
Entsprechend die Studieninhalte: Viel Methoden, keine Schnittstellen zu den Sozialwissenschaften, etwa der Anthropologie, der Philosophie. Stattdessen das „Gespurt-werden“ in einem Denksystem, welches einen hohen Selektionsdruck ausübte, auf ein nicht hinterfragbares „Wissenschaftsmodell“. Pierre Bourdieu spricht von einem „Habitus“, aus dem heraus sich eine „soziale Praxeologie“ entwickelt – doch dazu gleich. Wobei der Druck zum „Bulimielernen“ auf die Studierenden eigentlich nicht extra initiiert werden musste – war mensch als Studierende als „NC-Monster“ schon aus schulischen Zeiten auf messbaren Lernerfolg verpflichtet.
Die Psychoanalyse galt als „Schmuddelecke“: Wer im Fachbereich (zu dieser Zeit ca. 70 Studierende) als „psychoanalyseaffin“ galt, konnte sicher sein in der Diplomprüfung in „Klinische Psychologie“ durchzufallen. Beim zweiten Versuch bekam man dann den „Zweitprüfer“ der aus der Psychopharmakologie kam, sich aber seiner Rolle als „Tröster“ zumindest bewusst war. Mit der Überarbeitung der Prüfungsordnung Anfang der 1990er Jahre ist die Psychoanalyse als Prüfungsfach mit aller Macht aus dem Fächerkanon herausgeschrieben worden – zugunsten weiter empirischer Scheine.
Warum ist das so – und weshalb erfährt die Psychoanalyse an der Frankfurter Universität nun so etwas wie den „finalen Todesstoß“ in der „Klinischen Psychologie“ – respektive in dem akademischen Universum, welches sich diesen Titel selbst verleiht?
Das was wir heute „Psychologie“ nennen war ja eigentlich eher Gegenstand der Philosophie – erst über die „Psychophysik“ etwa Wundts oder Fechners entstand eine eigentlicher „Fachbereich“. Der allerdings in den 20er Jahren noch heftig um seine Relevanz stritt: In Abgrenzung zur „spekulativen“ Philosophie, beschreibenden / individuumszentrierten Forschungsmodellen und der Psychiatrie.
Ja, es scheint sie gegeben zu haben: Eine lebendige, kluge, nachfragende und ideenoffene deutsche Psychologie. Verkörpert wird sie durch Namen wie Dilthey, Charlotte Bühler, Wilhelm Stern, Lewin, Kofka, Köhler, Marbe, Wertheimer – um nur einige zu nennen – auch für Frankfurt: Frankfurt ist hier aus zwei Gründen besonders zu nennen: Als „Stiftungsuniversität“ steckte viel Kapital jüdischer Bürger*innen in Universitätsgründung und -gelingen, zum zweiten war Frankfurt – neben Wien und Berlin – ein wichtiger „Hotspot“ der psychoanalytischen Bewegung. Und – der Vollständigkeit wegen sei es erwähnt: In der Stiftungsurkunde war hinterlegt, dass es keinen religiösen Proporz bei der Besetzung von Professuren geben dürfe, was natürlich auch die Berufung jüdischer Wissenschaftler*innen erleichterte.
Zumindest bis Mitte der zwanziger Jahre scheinen sich also zwei Strömungen in Deutschland etwa die Waage zu halten. Nach dem Tod Wilhelm Wundt werden allerdings andere Kräfte stärker: Hier wird aus eugenischer Perspektive formuliert, werden Ideen einer „Völker-„ und „Rassepsychologie“ stark gemacht. Parallel hierzu geht die amerikanische Psychologie einen dezidiert „naturwissenschaftlichen“ Weg: William James, der als „Gründervater“ des psychologischen Instituts in Harvard gilt, war ursprünglich als Assistent bei Wundt in Leipzig gewesen, lehnte aber die in seinen Augen „spekulative“ Perspektive der von ihm als „deutsch“ wahrgenommen Herangehensweise an das „Objekt der Wissenschaft“ ab. Hier entwickelt sich also eine eigenständige Wissenschaftstradition in der Psychologie, die sich dann auch stark auf verhaltenswissenschaftliche Aspekte stützte.
Mit Unterwerfung des deutschen Universitätsbetriebs unter die nationalsozialistische Wissenschaftsdiktion, wurden die Inhalte um „jüdische Lehre“ bereinigt – und auch die Fakultäten: die erzwungene Emigrationswelle hinterließ verwaiste Institute, die mit „linientreuen“ Vasallen besetzt wurden – hier entstand auch das „Fachgebiet Wehrpsychologie“, welches auch ein Versuch war, den nationalsozialistischen Herrschaften den Erhalt psychologischer Institute „schmackhaft“ zu machen.
Der völkisch-nationalkonservative Flügel hatte sich also durchgesetzt. In dieser Diktion erstand auch die erste Diplomprüfungsordnung, die 1940 in Leipzig eingeführt wurde um nach 1945 – hakenkreuzbereinigt – zur Mustervorlage für alle psychologischen Universitätsinstitute zu werden, eine Tradition, die erst in den 1970er Jahre durch neue Diplomprüfungsordnungen gebrochen wurde.
So stand die deutsche Psychologie bei Kriegsende – ähnliche der Medizin und Psychiatrie – mit wissenschaftlich „leeren Händen“, aber „altem braunen“ Personal da. Zur „Entnazifizerung“ von Instituten und Personal war es daher hilfreich, sich ohne Wenn-und-Aber auf die amerikanische Linie einzuschwören: Ein guter Verhaltenspsychologe konnte ja kein Nazi sein!
Dies konnte umso leichter fallen, als etwa Skinners Vorstellungen faschistoide Züge hatten, ein Großteil der psychometrischen Verfahren auf rassistischen Normzuschreibungen beruhen und beruhten und man die anitisemitischen und rassistischen Positionen wichtiger Stichwortgeber*innen – etwa Eysenck – ausklammerte. Hierbei ging dann auch „unter“, dass grundlegende Paradigmen, etwa bei Watson, methodologisch auf unzureichenden Grundlagen beruhten. All dies wurde auch weder in den Lehrbüchern der Grundlagenfächer thematisiert noch in solchen der „Klinischen Psychologie“.
Wir sehen also ein System, in das junge Menschen eintreten, die durch die Hochschulzugangsbedingungen überwiegend gezwungen sind, mit sturem „Auswendiglernen“ maximal gute Noten zu erreichen. Das gleichermaßen verschulte System: „Studium der Psychologie“, erzwingt durch hohen Leistungsdruck maximale Anpassung an Studienorganisation und – inhalte. Zwischenprüfungen dienen als Initationsrituale, in denen es auch stark darum geht, zu überprüfen, ob die Studierenden sich dem Denken und den Sprachregelungen des Fachbereichs mehr oder minder vorbehaltlos unterwerfen. Dieses Denken wiederum zeichnet sich dadurch aus, dass es auf Paradigmen beruht, die nachweislich falsch, menschenverachtend oder veraltet sind. Hier entsteht das, was Bourdieu als „Habitus“ bezeichnet: Ein Set an Vorannahmen, Wahrnehmungs- und Handlungsbeschränkungen, die das jeweilige in diesen Status vermittelte Individuum daran hindern, die Grundlagen dieser Vorannahmen kritisch zu hinterfragen – einen Perspektivwechsel vorzunehmen.
Die Errichtung psychoanalytischer Lehrstühle an den psychologischen Fakultäten, die Verankerung der Psychoanalyse in den Prüfungsordnungen hat zumindest einigen Studierenden über Jahrzehnte die Möglichkeit gegeben, diesen Perspektivwechsel als Teile einer wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung- wie er ja auch bei Heisenberg oder Devereux angelegt ist – vorzunehmen. Mit den Veränderungen der Prüfungsordnung hat die Johann Wolfgang-Goethe-Universität vor Jahren schon die Axt an den Erkenntnisgewinnungsprozess gelegt: Statt der Psychoanalyse wurde in der Prüfungsordnung der 1990er Jahre bereits der Empirie der Vorrang eingeräumt. Die Zahl der psychoanalytischen Professuren wurde – bis auf die durch Herrn Habermas besetzte – eingespart. Damit wurde den Verhaltenswissenschaften klar ein Vorrang eingeräumt – nicht nur in Frankfurt!
Dieser Ausschluss setzte sich im Übrigen bei der Zulassung der sogenannten „Richtlinienverfahren“ im Übergang zum „Psychotherapeutengesetz“ fort: Die Psychoanalyse und Tiefenpsychologie ganz auszuschließen, hat man sich nicht getraut. Was Herr Fieberg allerdings verschweigt ist, dass die von ihm genannten zwei weiteren der vier Verfahren trotz besserer Datenlage damals keine Zulassung durch den „Wissenschaftlichen Beirat“ erhielten. Die Verbände, die für diese Ausrichtungen stehen, haben die Zulassung für diese Verfahren und auch die Anerkennung der Ausbildungsinstitute durch mehrere Instanzen gerichtlich erkämpfen müssen. Um dies zu verhindern hat der „Wissenschaftliche Beirat“ – entgegen der vorgeblichen Orientierung an „wissenschaftlichen Kriterien“ und „Rechtsstaatlichkeit“ – fortgesetzt Recht gebrochen und Urteile ignoriert. Insofern hat jetzt der Verweis auf die angestrebte „Methodenpluralität“ etwas Zynisches: Man opfert die „Psychoanalyse“, weil man den Kampf um die Singularität der „Verhaltenstherapie“ als Methode noch nicht gewonnen hat. Auch wenn – nicht zuletzt der Umstellung auf die „Pauschalisierten Entgelte Psychiatrie / Psychosomatik“ (PEPP) in den Kliniken die „Konfektionsware“ längst durchgesetzt hat.
Back to the Roots?
Die Universität vollzieht also in einer Form der „Un-Bewusstmachung“ einen Vorgang nach, der in der Frankfurter Stadtgesellschaft eine gewisse Tradition hat: Ich denke hier an die Beseitigung der Artefakte des jüdischen Ghettos, die Zerstörung der vormaligen „Großmarkthalle“ als Ausgangspunkt der Deportationen oder die Geschichte der „Arisierung“ von Immobilien bzw. der täterfreundliche Umgang hiermit nach 1945. Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität kehrt – zumindest im Fachbereich „Psychologie“ – also mittelbar zu den Bedingungen vor 1931 zurück. Warum diese Zeitsetzung? Es scheint so, als sei das eingetreten, was meine Mutter vor über 50 Jahren mal mit den Worten: „Es muss irgendwann mal Schluss damit sein“ gefordert hat. Gemeint war damit, dass sie die Diskussionen über ihre Identifikation mit dem Regime, meinen „braunen“ Lehrern und anderen Kontinuitäten nicht mehr haben wollte. Man hat – auch im universitären Rahmen – so ziemlich „alles abgeräumt, was im Zuge der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen „post `68“ entstanden war – etwa auch das „Institut für Sexualmedizin“. Es scheint gelungen, im Rahmen einer homöopathisch anmutenden „Erinnerungskultur“ die „bräunlichen Kontinuitäten“ in Ideengeschichte, Institutionen und Kommunikation zu übertünchen. Oder – wie es in einem Lehrbuch für Psychiatrie hieß: „Man habe nach 1945 an die herausragenden Traditionen der Psychiatrie vor 1945 angeknüpft.
Der Schriftsteller Ralph Giordano hat in diesem Zusammenhang von einer „zweiten Schuld“ gesprochen, die aus der Weigerung, sich mit den Folgen des deutschen Faschismus für die je eigene Existenz zu beschäftigen, ergebe. NSU, das Attentat von Halle, der Mord an Walther Lübke – um nur einige Ereignisse zu nennen – zeitigen deshalb so schwache und verschleiernde politische Resonanz, weil sie das liebgewonnene Bild von der „Überwindung der Kräfte“, die zum deutschen Faschismus geführt haben, den Schleier also, zerreißen lassen. Vor der Empörung stehen Manöver der Schamabwehr: Die offizielle Reaktion ist dann beschwichtigend, abwehrend, teilweise die Opfer beschuldigend. Sie ist als Symptom zu sehen – als Kompromiss zwischen dem Affekt der – zumindest klammheimlichen Identifikation mit Täter*innen und Tat und der vorwiegend selbstwertstabilisierenden Idee, man sei als „postfaschistische Demokrat*in“ gegen diese Art Affekte gefeit.
Das obige Zitat vom Rückgriff auf die vorgeblichen präfaschistischen Errungenschaften verschweigt, hier exemplarisch am Beispiel der Psychiatrie, dass die „Wissenschaftliche Erkenntnis“, Theorie und Praxis von Rassismus und Antisemitismus getränkt war. Die NS-Auslesepolitik etwa konnte sich auf wissenschaftliche „Expertise“ stützen. Und, wie schon gesagt: die deutsche Psychologie ging einen analogen Weg.
Wir sehen als dass das Lehrpersonal und damit auch das lexikalische Wissen der Fachgebiete unhinterfragt die rassistischen Normen transportieren: Um das Ideal eines „kaukasischen männlichen Wesens als Normfigur wird ein „normalverteilter Mantel“ etwa an „Persönlichkeitsmerkmalen“ gelegt, an denen sich der Rest der Menschen messen zu lassen hat. Wie schon erwähnt: Der Entwickler des gängigsten Persönlichkeitsinventares, Eysenck, könnte auf Grund der über ihn bekannten Haltungen und Meinungen, einen schlechten Leumund haben und es verdiente der Mühe, sich anzusehen, auf welche Weise seine rassistischen Vorurteile in die Testverfahren Eingang gefunden haben. Spannend auch zu sehen, wie in den 1980er Jahren mittels des beliebtesten deutschsprachigen Intelligenztests Schüler*innen mit Migrationshintergrund aus dem Regelschulsystem getestet wurden. Die Testentwicklung bezog sich auf Stichproben Hamburger Gymnasiasten – schlicht gesagt: Hier wurde Migrations- und Sozialpolitik psychologisch verschleiert betrieben.
Trotz aller Irrtümer und Fehlentwicklungen gehört zu den Grundlagen psychoanalytischen Denkens stetes hermeneutisches Hinterfragen der eigenen Perspektive: Bezogen auf die Theorie, das Menschenbild, die eigene Biografie etwa. Für die Theoretiker*innen des Mittelmaßes als Normalzustand, den Dogmatiker*innen der Empirie scheint dies reine Häresie.
Bücherverbrennungen, Hexenprozesse und öffentliche Hinrichtungen waren in früheren Zeiten ein probates Mittel, Menschen deutlich zu machen, wie gefährlich „Irrglauben“ für das eigene materielle Leben sein kann – von der spirituellen Seite ganz zu schweigen.
Die Bücherverbrennungen von „undeutscher“, „jüdischer“, „zersetzender“ Literatur stellten das medial inszenierte Pendant hierzu zu Beginn des „III. Reiches“ dar. Sich etwa kritisch mit Freud auseinandersetzen hätte ja die Lektüre seiner Texte vorausgesetzt.
So haben die „Bücherverbrennungen“ alter Zeiten und die Veränderungen der Prüfungsordnungen und Besetzungsverfahren ein gemeinsames Ziel: Sie schaffen Diskursausschlüsse.
So wie etwa in den Wirtschaftswissenschaften Adam Smith oder Karl Marx nicht mehr vorkommen, so bleibt es den „Vollkommenen Nerds“ vorbehalten, sich in den hinteren Ecken der Literaturbestände mit Wissen auszustatten, welches vollkommen irrelevant für die Initiation als „Klinische Psycholog*in“ sein wird. So, wie zu meiner Zeit man eben davon ausgehen musste, die Studienzeit um ein Semester verlängert zu bekommen, weil klar war, man müsse die Prüfung in „Klinische Psychologie“ ein halbes Jahr später wiederholen, wenn man es gewagt hatte, seine Zeit im 31. Stockwerk des „AFE“-Turmes zu verbringen.
Man braucht also die mediale Inszenierung einer „Bücherverbrennung“ nicht mehr, sondern erledigt das Problem auf dem Verwaltungswege. Ob hier auch der alte Antisemitismus der Zunft und der akademischen Gremien mitschwingt? Ich weiß es nicht – aber in Deutschland scheint wieder so viel „en Vogue“ zu sein, was man historisch, ideengeschichtlich und persönlich für „durchgearbeitet“ gehalten hat – warum also nicht?