Seit einigen Tagen kursiert unten beigefügtes Video in unterschiedlichen Variationen. Ich möchte dies aus meiner Sicht nicht unkommentiert lassen – auch weil ich glaube, dass Wodarg mit Vereinfachungen operiert, die ich für zumindest „schwierig“ halte und dem Diskurs, den wir brauchen, nicht gut tun können. Auch wenn man sich natürlich seine Claqueure nicht immer aussuchen kann: Die in den letzten Tagen bei KenFM und „Eva Herrmann“ gegebenen Interviews zum Thema scheinen mir zu belegen, dass Dr. Wodarg in seinem Sendungsbewusstsein auch in Kauf nimmt, von „Rechtsaußen“ vereinnahmt zu werden, respektive: Dies auch befördert.
Vorweg: Ich sehe viele Momente der materiellen Realität unter „Corona“-Zeichen kritisch. In welcher Geschwindigkeit Freiheitsrechte zur Disposition gestellt werden, „Marktbereinigungen“ stattfinden, wird uns noch lange nach dem Abklingen des jetzigen Peaks beschäftigen und es wird wahrscheinlich sehr anstrengend werden, andere Themen, etwa Ökologie, dagegen zu halten.
Zwei Beispiele: VW produziert seit Monaten auf Halde – der Produktionstop jetzt dient also auch dem Abbau von Überkapazitäten, wird dazu dienen, Zulieferer zu disziplinieren, die nicht das finanzielle Polster haben. Wenn es einen Rettungsschirm für Krankenhäuser gibt, dann auch für die Häuser der Aktiengesellschaften. „Helios“ hat eine Gewinnwarnung herausgegeben, weil sie auf Grund ihrer Personalpolitik keine Mitarbeiter:innen mehr finden, also Stationen schließen müssen. Nun sind „Asklepios“ und „Mediklin“ ganz ähnliche raubtierkapitalistische Kraken – wie verhindern wir, dass das eingesetzte öffentliche Kapital in Dividenden fließt? Lässt sich dieser Schritt als ein erster in Richtung auf Re-Kommunalisierung des Gesundheitswesens nutzen?
Doch zum Video: Ich gehe mit Wodarg in der Feststellung mit, dass „Corona“-Viren ubiquitär sind. Das ist aber nicht das Problem: Es geht um spezifische Mutationen und das hieraus resultierende Gefährdungspotential. Als Beispiel: Hunde und Wölfe sind beides „Caniden“ – von einem Dackel jedoch auf das Verhalten eines freilebenden Wolfes zu schließen, würde uns nicht einfallen.
Auch das Argument der unterschiedlichen Testungsweisen ist ein polemisches: Natürlich haben die Italiener höhere Fallzahlen, weil sie alles testen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Und natürlich wird das den Letalitätsindex, also die Zahl, die angibt, wieviel Todesfälle auf eine bestimmte Anzahl erkrankter Menschen (bezogen auf das jeweilige Krankheitsbild) verzerren. Das ist aber ein triviales Argument: Bei HIV sind die Menschen auch „im Vollbild“ und nicht „am Vollbild“ verstorben. D.h., todesursächlich waren letztlich andere Erkrankungen, häufig auch solche, mit denen ein gesundes Autoimmunsystem hätte umgehen können. Dennoch gibt diese extensive Testweise wahrscheinlich einen besseren Überblick über die Gesamtbelastung als selektive Testungen dies könnten. Die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, auf großflächige Testungen zu verzichten – wie es z.B. der Werra-Meißner-Kreis derzeit tut und einfach davon auszugehen, dass jede:r gleichermaßen betroffen sein müsste, kann ich nicht beantworten.
Um zum Eingangsargument zurückzukehren – der Frage, ob „Corona“ nicht „zu uns“ gehört und wie wir zukünftig damit umgehen, ist nicht einfach zu beantworten, ich will es mit zwei Beispielen kurz diskutieren: HIV und Ebola.
Bei beiden überschneiden sich in der Epidemiologie, der öffentlichen Wahrnehmung und im Umgang vielschichtige medizinische, koloniale und rassistische Aspekte. Ich möchte es am Beispiel „HIV“ illustrieren: Es scheint Viren zu geben, die „autochthon“, bezogen auf bestimmte Gebiete, möglicherweise auch Spezies, „kreisen“: Einige von ihnen liefern wohl auch evolutionären Entwicklungsschübe, manche gehen auch zwischen Spezies „über“, d.h., sie bleiben nicht auf bestimmte Säugetierarten beschränkt. Für HIV lässt sich das ursprüngliche Verbreitungsgebiet einigermaßen eingrenzen: Erst die kolonialistische Rohstoffverwertungspolitik, die dadurch veränderte Form der Warenströme in Afrika und die mittelbar durch die imperialistische Politik beförderte Binnenmigration auf diesem Kontinent haben wohl zu einer großflächigeren Verbreitung geführt: So hat man aus archivierten Gewebeproben der Krankenhäuser in Kinshasa hochgerechnet, dass 1969 über 70% der damaligen Patient:innen positiv waren. Die „Bluternte“ und der „Sextourismus“ der 70er-Jahre haben zu einem massiven Übergang in die Länder des globalen Nordens geführt: Die Bedarfsdeckung für alle möglichen speziellen Blutpräparate, „gecrackte“ Teile des Serums hat dazu geführt, dass die europäischen Blutspender den Bedarf nicht decken können, also hatten Spender in den Slums von Nairobi etc. hierüber eine Einkommensquelle. Das war übrigens Anfang der 80er auch so darstellbar, hat aber in der öffentlichen Debatte um „HIV“ keine Rolle gespielt, sondern rassistischen Argumentationsmustern Platz machen müssen:
Die Identifikation eines schwulen Flugbegleiters als „Patient Nr.1“ hat zu einer massiven Stigmatisierung von Homosexuellen geführt, was aber noch unerträglicher ist: Das „Rote Kreuz“ in Deutschland und Frankreich, als „Provider“ von Blut und Derivaten marktbeherrschend, wusste von der Kontamination der Produkte, haben aber auf Testung verzichtet, weil gesetzlich nicht vorgeschrieben und zu teuer. D.h., Mensch – im Übrigen auch in meinem Umfeld – sind über verseuchte Konserven infiziert worden und gestorben, ohne dass dies ausreichend skandalisiert wurde, respektive zu einer Diskussion über die Sinnfälligkeit der Delegation solcher „Gemeinwohlaufgaben“ an „Private“ geführt hätte – mit Folgen bis heute.
Für „Ebola“ stellt sich das Bild ähnlich dar: Die Überfischung der küstennahen Gewässer, Rodung und Umwandlung von Wäldern in Palmölplantagen und andere Gründe haben dazu geführt, dass Siedlungs- und Ökosysteme in Bewegung geraten sind. Die Entwicklung von Impfstrategien und eines entsprechende Impfstoffes war lange unterblieben, weil nicht lukrativ genug. Beides ist erst geschehen, als deutlich wurde, dass mit einer letztlich nur militärisch durchsetzbaren Quarantäne-Politik der globale Norden nicht hinreichend geschützt werden könnte. Die neuerlichen Ausbrüche in der letzten Zeit hatten in Europa nur noch geringen Nachrichtenwert. Hier stand dann häufig im Vordergrund, dass die autochthone Bevölkerung Krankenhäuser und Isolierstationen überfallen und zerstört hat. Die Legende, dies geschehe, weil die „Krankheit“ als von den Kolonialherren böswillig verbreitet geschehe. Die Impfstrategien als Herrschaftsmittel zu betrachten, die kurativen Strategien als Teil der immer gleichen kolonialistischen und rassistischen Strategien zu sehen, scheint aus Sicht der Industriestaaten als propagandistisch beförderter Irrglauben gedeutet werden zu können. Die Anerkennung dieser Deutungsweise als berechtigte Folge eben der imperialistischen Herrschafts- und Aneignungspolitik – und damit als zumindest nachvollziehbar – zu sehen, bleibt hier untersagt und die Widerstände vor Ort werden als „Folklore“ deutbar. Was unterbleibt sind Strategien, die eben diese Kolonialgeschichte reflektieren und entsprechend sensible Aufklärungs- und Interventionsstrategien speisen
Was ich damit sagen will ist, dass wir nach der „Corona-Krise“ erst wirklich in den gesellschaftlichen Stress-Test geraten werden und es wichtig ist und bleibt, gute Argumente nicht mit „Verschwörungstheorien“ zu kontaminieren, in denen etwa die jetzige Pandemie als „Marketing-Strategie“ einiger Virologen und Konzerne denunziert wird. Das Beantragen von Fördermitteln und Sorgen um die notwendige Finanzierung von Testreihen, Personal usw. ist originäre Aufgabe einer Institutsleitung: Hieraus ein originäres Profitstreben abzuleiten, halte ich für mindestens fahrlässig, wenn nicht bösartig.
Wenn wir – und ich bin in der Tat der Meinung dass dies notwendig ist – die Bedingungen dieser Krise analysieren wollen und auch zur gesellschaftlichen Veränderungen im Sinne einer „Gemeinwohlorientierung“ beitragen wollen, sind wir in einer besonderen Verantwortung, was Fakten und Faktenchecks angeht.