…ist der Tag am nächsten (Ton, Steine, Scherben). Zumindest für mich ein Song gegen die Ohnmacht der „bleiernen Zeit“ im „Deutschen Herbst“. Aber ist denn wirklich, wie der Dichter sagt, das Rettende nah, wenn die Not am Größten?
Delfine in den Kanälen von Venedig, zurückgehende Schadstoffbelastungen über China, für Klima und Umwelt scheint die „Coronakrise“ den Einschränkungen für Wirtschaft und Reiseverkehr wegen, eine Erholungspause mit sich zu bringen – es scheint so, als könne Deutschland auf diese Weise sogar die Klimaziele einhalten.
Mathias Horx und andere entwerfen Zukunftszenarios für eine ideale, solidarische Gemeinschaft, so als liefere die Pandemie ein „kathartisches“ Element, gleich der reinigenden Kraft des Fegefeuers. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Prepper und faschistische Kameradschaften wie „Nordkreuz“ und „Uniter“ die Krisen herbeisehnen, weil sie Massenpanik und Angst als Grundlage für einen Umsturz sehen. Lassen wir für den Moment einmal die rechten Umsturzfantasien beiseite, stellt sich doch die Frage, worauf sich die erstzitierten Hoffnungen stützen.
Natürlich kann man annehmen, dass Menschen zur Kooperation und Solidarität fähig sind und dies schon als Kleinkinder. Sucht man dieser Tage (Stand: 24.03.2020) als Senior:in auf der mittleren Bergerstraße in Frankfurt etwa Klopapier, könnten Zweifel aufkommen. Die Diskussionen um die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus den Lagern auf Lesbos, die Schwierigkeiten, solidarisches Denken und Handeln bezogen auf die drohende Klimakatastrophe einzufordern und entsprechende gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg zu bringen, legen das Gegenteil nahe.
Und doch sind wir bereit, unter dem Eindruck der „Coronakrise“ Verzicht zu leisten, nehmen Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit hin, akzeptieren, etwa in Bayern, die Ausrufung des öffentlichen Notstandes. Die Begriffe die hier leitmotivisch sind, heißen: „Covid-19“ und „Coronatote“.
Judith Rackers hat in der „Tagesschau“ vom 23.03.2020 um kurz nach 20 Uhr die Coronaberichterstattung den Vortag zu den Fallzahlen mit der Zahl der „Coronatoten“ in Italien ergänzt, bebildert wurde diese Sequenz mit Archivaufnahmen eines Militärkonvois, der Leichen aus einem Hospital in Bergamo zu einem Krematorium bringe. Nun, zum einen kann man sich fragen, warum die materielle Information diese Bilder brauchte – zumal es sich, wie gesagt um schon mehrfach benutzte Archivaufnahmen handelte. Der „Frame“, der Rahmen des Beitrages war, wie gesagt, die „Coronakrise“. Die Dringlichkeit des Anliegens wurde durch eine suggestive Inszenierung unterstrichen: Militär-LKW signalisieren eine hohe Ausprägung des Notstandes, der Begriff „Coronatote“ Fragen von Leben und Tod. Nun, abseits der Schlagzeilen weisen alle mit den medizinischen Fakten vertrauten Fachmenschen darauf hin, dass letztlich das Corona-Virus in seiner spezifischen Auftretensform alle Gesellschaften gleichermaßen zu durchdringen scheint – und dies in hoher Geschwindigkeit, die Toten aber fast ausschließlich aus besonders vulnerablen Bevölkerungsschichten stammen: Alte und sehr alte Menschen aus dichtbesiedelten Gebieten mit hoher Luftverschmutzung und durch diese ausgelösten Atemwegserkrankungen, die in der Regel mit Herz- Kreislaufschäden einher gehen.
Der Erzählungsrahmen
Bleiben wir für einen Moment bei dem Phänomen des „Framing“, also der üblichen Strategie, Anliegen, Erzählungen in einen erwartbaren Kontext zu stellen, also zu „rahmen“. Ein illustrierendes Beispiel könnte so auftreten, dass nämlich ein Gast in einem Restaurant zu der Bedienung sagt: “Herr Ober, in meiner Suppe ist eine Fliege“. Antwortet der angesprochene Mensch mit: „Da haben Sie aber Glück, normalerweise meiden Fliegen unsere Suppe“, wird der narrativ angelegte Rahmen durchbrochen – darauf beruht der Witz. Aus der Perspektive des Gastes verhält sich der Kellner inadäquat – und dennoch hat dieser die Lacher auf seiner Seite, obwohl wir, aus der für die meisten von uns ja vertrauten „Gastrolle“ heraus, mit diesem solidarisch fühlen könnten.
Das „Framing“ im medialen und politischen Raum steckt die Möglichkeiten einer politischen Erzählung oder eines Diskurses ab, indem es die „angemessenen Sprachregelungen“, die zugehörigen Begriffe und auch den Rahmen festlegt, innerhalb dessen verhandelt werden kann: Wenn ich also mit der Begrifflichkeit „Coronatote“ eine lebensbedrohliche Gesamtsituation suggeriere und diese Behauptung mit Bildern eines Militärkonvois illustriere, liefere ich einen Bedeutungsgehalt, der „Notstand“ und entsprechende Maßnahmen nahelegt. Probeweise empfehle ich etwa die Sprachregelung (für Nachrichten und andere Kontexte): „Leider waren in der Region um Bergamo heute wieder viele Tote zu beklagen. Es handelt sich hierbei zu XY-Prozent um Menschen mit gravierenden Vorerkrankungen in hohem Lebensalter, die häuslich oder in den Pflegeheimen leider derart unterversorgt waren, dass sie erst in sehr fortgeschrittenem Stadium ihrer Erkrankungen, die teilweise auch auf die extreme Luftverschmutzung der Region zurückzuführen ist, in stationäre Behandlung kamen…“. Die toten Senior:innen, die einige Tage in einem spanischen Pflegeheime unentdeckt blieben, weisen weniger auf die „Coronakrise“ als auf Vernachlässigung und Verantwortungslosigkeit der Heimbetreiber hin.
Gesundheitsvorsorge
Bevor ich zu der Frage der möglichen Sinnfälligkeit der beschriebenen medialen Strategie komme, noch ein Beispiel dafür, wie mit einem entsprechenden Narrativ ein „Rahmen“ geschaffen wird: In der „Frankfurter Rundschau“ vom 24.03.2020 (s.u.) ist zu lesen, die Wiesbadener Kliniken, allen voran die „Horst-Schmidt-Klinken“(HSK) würden die Zahl der Beatmungsplätze stark erhöhen. Dieses Narrativ soll intensive Vorbereitung und Fürsorge suggerieren. Dies reflektiert die Zahlen, die darauf hinweisen, dass eine Vielzahl Erkrankter an „Akuten Lungenversagen“ versterben, also beatmungspflichtig werden (s. auch Zahlen des RKI im Anhang). Mal abgesehen davon, dass dem Vernehmen nach derzeit praktisch keine Beatmungsgeräte auf dem Markt sind, gehört zu einem Beatmungsplatz noch jede Menge anderes Gerät, dass wahrscheinlich auch nicht sofort zur Verfügung stehen wird – es sei denn, die jeweiligen Hersteller wir „HP“ geben ihre Patente frei und machen die Anstrengungen von VW und BMW, im Rahmen von Konversion Medizintechnik herzustellen, möglich. Viel gravierender ist ein anderes Problem: Beatmungspflege ist ungeheuer personalaufwendig und es bedarf Fachkräfte mit entsprechenden Spezialisierungen. In der Personalbemessung geht man von einer Quote von 2:1 aus, d.h., auf je zwei Betten entfällt eine Pflegekraft. Um dies vollschichtig zu ermöglichen braucht es für diese zwei Plätze mindestens sechs Spezialist:innen, hier sind aber keine Ausfälle kompensierbar – man geht von einer zusätzlichen vollen Stelle zur Kompensation aus – da wären wir also bei sieben Fachkräften (s. auch Foliensatz S. Quast im Anhang). Bei 34 zusätzlichen Plätzen in den HSK wären dies also 119 Vollzeitäquivalente. Rechnet man die in Care-Berufen übliche Teilzeitquote hinzu, reden wir von etwa 160 Personen mit mindestens dreijähriger grundständiger Berufsausbildung und hoffentlich einjähriger berufsbegleitender Zusatzqualifikation – wie soll das bitte gehen? Zumal europaweit die Krankenhäuser „auf der Felge“ gefahren werden, der „Pflegenotstand“ endemisch ist, weil seit 30 Jahren darauf gesetzt worden ist, dass man mit immer weniger Personal in den Häusern immer mehr Geld verdienen würde ( dazu auch Schreiben der Belegschaften aus Berlin im Anhang). Also „Augenwischerei“? Nein, so weit würde ich nicht gehen: Es ist auch der Versuch zu demonstrieren, dass Politik und Klinikbetreiber versuchen Vorsorge zu treffen und Ressourcen irgendwie zur Verfügung zu stellen. Insofern sind wir in Deutschland tatsächlich besser dran als im restlichen europäischen Ausland: In Italien, Spanien und Frankreich ist das Gesundheitswesen schon vor „Corona“ unter den von Deutschland maßgeblich verlangten Spardiktaten zusammengebrochen, der „öffentliche Sektor“ marginalisiert worden. Auch dies trägt zu der beschreibbar desolaten Situation bei.
Doch zurück zu Fragen des spezifischen „Corona-Framings“ über Opferzahlen:
Cui bono?
Nun – das „Framing“ schafft einen diskursiven Rahmen, dessen Sinn darin besteht, Notfallmaßnahmen treffen zu können, um „Leben zu retten“. Das führt – dadurch das „Leben retten“ ein hohes normatives Ideal ist – dazu, dass Kritiker:innen an Einzelmaßnahmen oder dem narrativen Framing entweder unterstellt wird, dass sie willens sind, Menschenleben zu risikieren, zynisch und empathielos mit den Opfern in Italien und Iran etc. umgehen, oder „Verschwörungstheoretiker“ sind. Selbst da, wo sich die Behauptungen belegen lassen und die Rechtswidrigkeit einiger Maßnahmen ja tatsächlich auch breit diskutiert wird (s. den Beitrag von K. Thorwarth im Anhang). Der beschriebene Rahmen soll in meinen Augen mehreren Zwecken dienen: Er vermittelt ein starkes Schutznarrativ, in dem jene, die für die „öffentliche Ordnung“ einstehen begründet zum Wohle Aller handeln (wer daran zweifelt stellt sich tendenziell außerhalb dieser Gemeinschaft). Der „starke Staat“ (als Synonym für den „wehrhaften Staat) vermittelt den etwa 25% der Bevölkerung, die gerade in Krisenzeiten eine „starke Führung“ suchen (man erinnere sich an entsprechende Studien von Adorno bis Heitmayer) das Gefühl, man überlasse sie nicht der Angst und dieser Staat zeigt exekutive Präsenz, er macht deutlich, dass er „Putsch- und Aufstandszenarios“ von rechts widerstehen will. Also alles zu unserem Besten?
Ich bin skeptisch: Jean Luc Nancy beschreibt, eine Gemeinschaft brauche konstitutive Erzählungen. Nun – und dies war ja die Eingangsfrage, wie könnte also eine Erzählung aussehen, die gemeinwohlorientiert, solidarisch, ökologisch, geschlechtergerecht – und der Forderungen mehr – ein gemeinsame Idee von Gesellschaft zu tragen im Stande ist. Ich meine: Sicher nicht auf Basis einer „militärischen Logik“. Es geht nicht um einen „Krieg“, den es zu gewinnen gelte, wie die Macrons, Contes, Orbans und Trumps dieser Welt suggerieren. Sondern es geht um eine Pandemie, wie wir sie zukünftig, eben auch unseres Raubbaus an der Natur wegen, häufiger haben werden. Für diese müssen wir zukünftig besser gewappnet sein – auch in dem wir in den Zeiten dazwischen (oder aus heutiger Perspektive: danach) die Ressourcen dafür schaffen. Um das Krankenhausbeispiel aufzugreifen: „Gesundheit“ muss als „Gemeinwohlaufgabe“ definiert sein, in einem ersten Schritt braucht es u.a. die Re-Kommunalisierung der Klinken und eine geänderte öffentliche Versorgungsstruktur. Dafür sei kein Geld da? Naja, das war das alte Lied: Olaf Scholz und die Seinen beweisen doch, dass dies ein „Märchen“ war, das Narrativ, das „Framing“ von der „Alternativlosigkeit“ und den „Kräften des Marktes“.
Packen wir´s an!
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